Die Pasiphaegruppe
Mitte März 1908 wurde veröffentlicht, dass Philibert
Jacques
Melotte bei der Untersuchung
seiner Aufnahme der Jupitermonde VI (Himalia) und VII (Elara) vom
28./29.
Februar 1908
einen möglichen achten Jupitermond entdeckt hatte. Wenig
später
bestätigte sich diese
Vermutung und der Mond erhielt die Nummer VIII. Am 23. (oder 24.) Juli
1914
entdeckte Seth Barnes Nicholson beim Vergleich zweier Fotoplatten,
auf die er
am 22. und am 23. Juli 1914 den VIII. Mond aufgenommen hatte, einen
weiteren,
der die Nummer IX erhielt. Beide hatten ähnliche Bahnen: ihre
großen Bahnhalb-
achsen betrugen etwa 24 Mio. km und die Inklinationen (Neigungen) ihrer
Bahnebenen lagen bei etwa 150 bzw. bei etwa 160 Grad (zum Vergleich:
die Inklinationen der Umlaufbahnen der Galileischen Monde liegen alle
unterhalb von 0,5°), was vor allem bedeutete, dass die beiden Monde
im Gegensatz zu den bisher bekannten Jupitermonden ihren Planeten
nicht in der gleichen Richtung umrundeten wie dieser die Sonne.
Pasiphae (jeweils Bildmitte)
Erst 1975/76 bekamen die beiden Monde auch Namen. Dabei führte
man die Konvention ein,
dass prograde (rechtläufige) irreguläre Jupitermonde einen
auf a endenden Namen bekommen,
wohingegen retrograde (rückläufige) irreguläre
Jupitermonde
einen auf e endenden Namen
bekommen. ("Prograd" bedeutet, dass der Mond seinen Planeten in der
gleichen Richtung
umläuft wie der Planet die Sonne, "retrograd", dass er ihn in
Gegenrichtung umläuft;
"irregulär" bedeutet, dass die Bahn des Mondes exzentrisch [nicht
kreisförmig] ist
oder eine nicht geringe Inklination hat. Prograde Monde haben eine
Inklination
zwischen 0° und 90°, retrograde eine zwischen 90° und
180°.
Alle regulären
Monde sind also prograd.) Als retrograde irreguläre Jupitermonde
bekamen
die beiden Monde also Namen auf -e, und zwar wurden sie wie die meisten
Jupitermonde nach Liebesbeziehungen Jupiters benannt: Mond VIII nach
der Hexe Pasiphae (auf der zweiten Silbe
betont und "pasifa-eh" ausge-
sprochen, griechisch für "die allen leuchtet"), der Mutter des
Minotaurus,
und Mond IX nach der Najade (Süßwassernymphe) Sinope.
Jupiter
hatte in seiner Leidenschaft für Sinope
geschworen, ihren liebsten
Wunsch zu erfüllen, egal, was es sei. Daraufhin hatte sie gesagt:
"Ich möchte Jungfrau bleiben." So gehört Sinope
zu den
wenigen Geliebten Jupiters, denen er nicht beilag.
Am 18. Juli 2000 hatten Beobachtungen von Dr. Robert S. McMillan,
Joseph
L. Montani,
Prof. Dr. Tom Gehrels, Dr. Jeffrey A. Larsen und Dr. James V. Scotti
von Spacewatch
(einem auf die Beobachtung von Planetoiden und Kometen spezialisierten
Projekt),
deren
Durchführung Scotti in die Zeit zwischen dem 6. Oktober
und dem 4. November 1999
gelegt hatte, in zeitliche Nähe zu Jupiters Helligkeitsmaximum,
damit neben Planetoiden
auch
mögliche unentdeckte äußere Jupitermonde
aufgespürt
werden können, zur Folge,
dass
Dr. Timothy B. Spahr vom Minor Planet Center bei der Untersuchung der
ausgemessenen
Positionen der beobachteten Objekte tatsächlich erkannte, dass
es
sich bei einem
am 23. November 1999
als Planetoid veröffentlichten Objekt
möglicherweise in
Wahrheit
um einen neuen Jupitermond
handelte, einen weiteren
mit ganz ähnlicher großer Bahnhalbachse
und Inklination. Diese
Hypothese konnte
binnen kürzester Zeit bestätigt werden,
wie am 21. Juli 2000
bekanntgegeben
wurde. Der neue Mond wurde nach der Najade Callirrhoe
(auf der zweiten
Silbe betont und "kallirro-eh" ausgesprochen, vom griechischen Wort
für
"die
Schönfließende")
benannt und erhielt die Bezeichnung Jupiter XVII.
Callirrhoe. Aufnahmen vom 6. Oktober 1999
vom
Steward Observatory
auf dem Kitt Peak in Arizona.
Callirrhoe. Aufnahme vom 28. Juli 2000
durch
die VLT-Einheit Antu
(mit Spektrograph FORS1) auf dem Cerro Paranal
in Chile.
Auf Aufnahmen vom 25. November 2000 entdeckten Scott
S. Sheppard, Prof. Dr. David Jewitt,
Dr. Yanga R. Fernández und Dr. Eugene Magnier einen weiteren
solchen Jupitermond,
der den Namen Megaclite und die
Bezeichnung Jupiter XIX erhielt.
Megaclite
Auf Aufnahmen vom 9. und 10. Dezember 2001 entdeckten Sheppard,
Jewitt
und Dr. Jan Kleyna drei
weitere solche Jupitermonde, die die Namen Autonoe
(auf der zweiten Silbe betont und "autono-eh"
ausgesprochen, griechisch für "die Eigensinnige"), Eurydome
(nach der Geliebten Jupiters; griechisch
für
"breites Haus") und
Sponde
(nach einer der
zwölf Horen, nämlich der Göttin der Trankopferstunde
[nach dem Mittagessen])
und die Bezeichnungen Jupiter XXVIII, Jupiter XXXII
bzw.
Jupiter XXXVI erhielten.
S/2003 J 23
Auf Aufnahmen von Februar und Anfang März 2003 entdeckten
Sheppard, Jewitt, Kleyna,
Fernández und Henry Hsieh sieben weitere solche Jupitermonde,
von denen fünf die Namen
Hegemone
(nach der Athener Charis des Herbstes, einer Göttin der
Pflanzen, die sie dazu
brachte, zu blühen und Früchte zu
tragen; griechisch für "die Vorangehende" [ursprünglich
Personifikation des
abnehmenden Mondes, der der Sonne vorausgeht, später auf Tanz und
Chor bezogen]),
Aoede (nach einer der drei bzw.
vier Musen, nämlich der
Gesanges
und der Musik; vom griechischen Wort
für "Gesang"),
Cyllene (nach einer
Oreade
[Gebirgsbaumnymphe];
"Dame des [Gebirges] Kyllene"), Kore
(einen
Beinamen für Persephone, die Tochter Jupiters, die Herrin
des Totenreiches;
griechisch
für "Mädchen") und – auf der Grundlage eines
Internetwettbewerbs –
Philophrosyne
(nach einer der vier jüngeren Chariten, der Enkelinnen Jupiters,
der Daimona der Freundlichkeit und des Wohlwollens; griechisch für
"freundliche
Gesinnung, Freundlichkeit, Wohlwollen") und die Bezeichnungen Jupiter
XXXIX,
Jupiter
XLI, Jupiter XLVIII, Jupiter XLIX bzw. Jupiter LVIII erhielten. Die
beiden anderen Monde tragen vorerst nur provisorische
Bezeichnungen.
So heißt "S/2003 J 4" z. B.: "Satellit, und zwar
mit
Entdeckungsfoto aus
dem Jahr 2003 bei Jupiter, vierte Entdeckung aus 2003 bei Jupiter".
Kore
Im Herbst 2011 entdeckte Dr. Sheppard auf
Aufnahmen vom 27.
September
2011 einen
weiteren solchen Jupitermond, der die Bezeichnung Jupiter LVI erhielt.
Im Jahr 2016 entdeckte Sheppard auf Aufnahmen vom 9. März
2016, die er im Zuge der Suche
nach Objekten im äußeren Sonnensystem gemacht hatte,
einen weiteren solchen Jupitermond,
der vorerst nur eine provisorische Bezeichnung trägt.
Im Frühjahr 2017 schließlich entdeckte Sheppard auf
Aufnahmen
vom 23. März 2017 noch
zwei
weitere solche Jupitermonde, davon einen gemeinsam mit Dr. Chadwick
("Chad")
Trujillo, der
bereits etliche transneptunische Objekte (TNOs) entdeckt hatte. Sie
erhielten
die Bezeichnungen
Jupiter LIX und Jupiter LXVII. Namen haben all diese zuletzt
bezeichneten
Monde nicht
bekommen.
Animation zur Entdeckung von Jupiter LIX
Die großen Bahnhalbachsen dieser insgesamt achtzehn Monde
betragen
zwischen 22,6 und
24,3 Mio. km (bzw. zwischen 316 und 339 Jupiterradien) und die
Inklinationen
ihrer
Umlaufbahnen zwischen 141° und 158°, sodass die achtzehn Monde
eine Gruppe
bilden, nach ihrem mit 58 km Durchmesser größten Mond Pasiphaegruppe
genannt. Sie entstand vermutlich aus einem einzigen Planetoiden, der
vom
Jupiter eingefangen wurde und in Stücke brach. Die Umlaufzeiten
der
Monde aus der Pasiphaegruppe liegen zwischen 702 und
777 Tagen, also um die 2 Jahre.
In diesem Diagramm sind die großen
Halbachsen
(in Mio. km) und die Inklinationen der Bahnen
der Monde aus den drei retrograden Gruppen
gegeneinander
aufgetragen. Monde mit ähnlichen
Bahnparametern bilden eine Gruppe: die sehr
dichte
Carmegruppe (in Grün) und die beiden
stark gestreuten Gruppen Anankegruppe (in Blau)
und Pasiphaegruppe (in Rot). Die Größe
eines jeden Kreises gibt den Durchmesser des
jeweiligen Mondes an.
Skizzen der Bahnen der Jupitermonde befinden sich hier.
Die Pasiphaegruppe in Kürze
MOND | Bezeich- nung |
Ent- deckungs- jahr |
Entdecker | Durch- messer |
Rang | Große Bahn- halbachse |
Um- lauf- zeit |
Inkli- nation |
Philophrosyne | Jupiter LVIII | 2003 | S. S. Sheppard / D. C. Jewitt / J. Kleyna / Y. R. Fernández |
Ca. 2 km | 48. | 22604600 km =
ca. 316 Jupiterradien |
702,5 Tage
(retrograd) |
146,3° |
Eurydome | Jupiter XXXII | 2001 (nachgewiesen 2002) |
S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna |
Ca. 3 km | 55. | 22899000 km =
ca. 320 Jupiterradien |
717,3 Tage
(retrograd) |
149,1° |
- | Jupiter LVI | 2011 | Scott S. Sheppard | Ca. 1 km | 56. | 22909200 km =
ca. 320 Jupiterradien |
718,3 Tage
(retrograd) |
151,9° |
- |
(S/2003 J 4) | 2003 | S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna / Y. R. Fernández / H. H. Hsieh |
Ca. 2 km | 57. | 22926500 km =
ca. 321 Jupiterradien |
718,1 Tage
(retrograd) |
148,2° |
- |
(S/2016 J 4) | 2016 (nachgewiesen 2022/23) |
Scott S. Sheppard | Ca. 1 km | 71. | 23113800 km =
ca. 323 Jupiterradien |
727,0 Tage
(retrograd) |
147,1° |
- | Jupiter LXVII | 2017 (nachgewiesen 2018) |
Scott S. Sheppard | Ca. 2 km | 79. | 23245300 km =
ca. 325 Jupiterradien |
734,0 Tage
(retrograd) |
149,7° |
Hegemone | Jupiter XXXIX | 2003 | S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna / Y. R. Fernández |
Ca. 3 km | 81. | 23348700 km =
ca. 327 Jupiterradien |
739,8 Tage
(retrograd) |
152,6° |
Pasiphae | Jupiter VIII | 1908 | Philibert Jacques Melotte | 58 km | 84. | 23468200 km =
ca. 328 Jupiterradien |
743,6 Tage
(retrograd) |
148,4° |
Sponde | Jupiter XXXVI | 2001 (nachgewiesen 2002) |
S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna |
Ca. 2 km | 85. | 23543300 km =
ca. 329 Jupiterradien |
748,3 Tage
(retrograd) |
149,3° |
Megaclite | Jupiter XIX | 2000 | S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / Y. R. Fernández / E. Magnier |
Ca. 5,4 km | 87. | 23644600 km =
ca. 331 Jupiterradien |
752,9 Tage
(retrograd) |
149,8° |
Cyllene | Jupiter XLVIII | 2003 | S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna |
Ca. 2 km | 88. | 23654700 km =
ca. 331 Jupiterradien |
752,0 Tage
(retrograd) |
146,8° |
Sinope | Jupiter IX | 1914 | Seth Barnes Nicholson | 35 km | 89. | 23683900 km =
ca. 331 Jupiterradien |
758,8 Tage
(retrograd) |
157,3° |
- | Jupiter LIX | 2017 | Scott S. Sheppard /
Chadwick Trujillo |
Ca. 2 km | 90. | 23744800 km =
ca. 332 Jupiterradien |
756,4 Tage
(retrograd) |
145,8° |
Aoede | Jupiter XLI | 2003 | S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna / Y. R. Fernández / H. H. Hsieh |
Ca. 4 km | 91. | 23778200 km =
ca. 333 Jupiterradien |
761,5 Tage
(retrograd) |
155,7° |
Autonoe | Jupiter XXVIII | 2001 (nachgewiesen 2002) |
S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna |
Ca. 4 km | 92. | 23792500 km =
ca. 333 Jupiterradien |
761,0 Tage
(retrograd) |
150,8° |
Callirrhoe | Jupiter XVII | 2000 | T. B. Spahr /
J. V. Scotti u. a. |
Ca. 9,6 km | 93. | 23795500 km =
ca. 333 Jupiterradien |
758,9 Tage
(retrograd) |
145,1° |
- | (S/2003 J 23) | 2004 | S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna / Y. R. Fernández |
Ca. 2 km | 94. | 23829300 km =
ca. 333 Jupiterradien |
760,0 Tage
(retrograd) |
144,7° |
Kore | Jupiter XLIX | 2003 | S. S. Sheppard /
D. C. Jewitt / J. Kleyna |
Ca. 2 km | 95. | 24205200 km =
ca. 339 Jupiterradien |
776,8 Tage
(retrograd) |
141,5° |
Anankegruppe
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Carmegruppe
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Dies war die beeindruckende Pasiphaegruppe
des
Jupiters.
Als nächstes erwarten Euch hier
weitere Monde des Saturns. Seid gespannt auf die
irregulären Saturnmonde
Hauptquellen: S/2016 J 4: - Durchmesser: Scott S. Sheppard: "Moons of Jupiter", https://sites.google.com/carnegiescience.edu/sheppard/moons/jupitermoons, 2023 - Bahndaten: Marina Brozović: "Ephemerides of the 12 new jovian irregulars — JUP345", 2023 Pasiphae, Sinope, Callirrhoe: - Durchmesser: Tommy Grav u. a.: "NEOWISE: Observations of the Irregular Satellites of Jupiter and Saturn", - The Astrophysical Journal 809 (2015), Nr. 1, Artikel 3 - Bahndaten: Marina Brozović: "Outer jovians with astrometry up to Nov 2020 — JUP344", 2021 Megaclite: - Durchmesser: https://web.archive.org/web/20010208225815/http://www.ifa.hawaii.edu/~jewitt/jmoons/jm-table.html, 2001 - Bahndaten: Marina Brozović: "Outer jovians with astrometry up to Nov 2020 — JUP344", 2021 Alle übrigen Monde: - Durchmesser: Scott S. Sheppard: "Moons of Jupiter", https://sites.google.com/carnegiescience.edu/sheppard/moons/jupitermoons, 2023 - Bahndaten: Marina Brozović: "Outer jovians with astrometry up to Nov 2020 — JUP344", 2021 |